AUTOBUS S

Szenische Kantate von Benjamin Scheuer

Uraufführung, 2011, Forum HfMT Hamburg

CREDITS

Komposition: Benjamin Scheuer

Musikalische Leitung: Georg Mikus

Regie: Kerstin Steeb

Bühne: Franziska Riedmiller

Kostüme: Silvia Wagner

Dramaturgie: Jessica Golz

Sänger/in: Till Bleckwedel, Max Börner, Katerina Fridland

Schauspieler: Manuel Luna Homeyer, Dominik Schorn

PRESSE

Die Kunst der schnellen Verwandlung

Zwei turbulente Kurzopern reüssieren an der Musikhochschule

Auf den ersten Blick scheinen die Textwelten Franz Kafkas und des Pariser Literaten Raymond Queneau unvereinbar. Die Verwandlung des Handelsreisenden Gregor Samsa in ein „ungeheures Ungeziefer“, mit der Kafkas bekannte Erzählung einsetzt, und Queneaus Stilübungen zu einem banalen Vorkommnis im Autobus S und am Bahnhof Saint-Lazare – was sollte ihnen gemeinsam sein, um einen musiktheatralischen Themenabend herzugeben?

Die verblüffende Antwort kommt aus der Talentschmiede des „jungen Forums Musik und Theater“. Sie heißt kurz und bündig: „Metamorphosen“. Ein intelligenter Kurzschluss.

Tatsächlich ist die Idee des Gestaltwandels beide Male werkauslösend. Mit einem Unterschied allerdings: Kafkas Text – der eine lange Motivtradition aufnimmt, das märchenhaft Fantastische aber in eine befremdlich realistische Familiengeschichte umbiegt – handelt von einem Sohn, dessen Verwandlung die zwanghaft angenommene familiäre Opferrolle entstellt. Queneaus „Stilübungen“ hingegen sind vom Furor eines Sprachspielers getrieben, der sich nicht genugtun kann, einen hanebüchenen Erzählfall durch den Dschungel literarischer Form- und Stilkunde zu treiben: in rhetorischen Figuren oder umgangssprachlich, ungehalten oder zögerlich, amtlich oder parteiisch, als Lautspiel und Lustspiel, als Sonett, als Ode oder im freien Vers …

Um den absurden „Autobus S“ in Fahrt zu setzen, komponierte Benjamin Scheuer eine Quadrille sinnfälliger Leitmotive – vom Schüttelmotiv übers Langhals-Intervall bis zum hüpfenden Mantelknopf. Ihre Veränderungen dienen als Klangunterlage für 16 melodramatische Sing- und Sprechszenen, die er den 99 Vortragsarten Queneaus entlehnte. Drei Sänger und zwei Schauspieler mimen die Busfahrgäste, von Regie-Studentin Kerstin Steeb mit variantenreichen Umbauten der buchstabenartigen Sitze beschäftigt. Bis sich Till Bleckwedels standhafter Bass in einer Vokalise verklemmt: Auftakt zu einer Kakofonie, der auch das kunterbunte Ensemble verfällt, das nun aufs Podium strömt – Parodie auf den „attimo strepitoso“, den geräuschvollen Augenblick im Final-Ensemble italienischer Buffoopern.

Das seriöse Gegenstück – in Sujet und Anlage wie in der kompositorischen Feinarbeit – schuf Stephan Peiffer mit seiner Kurzoper „Die Verwandlung“, bei der Marcos Darbyshire aus Argentinien ebenso leise wie hintersinnig Regie führt. Um anzudeuten, dass sich Gregors degoutanter Gestaltwandel womöglich in seinem Kopf abspielt, blieb dem Publikum der Anblick des Untiers erspart. Gregor (Schauspieler Moritz Grabbe), klavierbegleitet, bleibt unversehrt, ähnelt gar dem jungen Kafka. Dafür, o Graus, hat die kerbtierische Umbildung ein Bein der Schwester Grete befallen! Gottlob bleiben Nicole Tschaikins sanftes Sopran-Ego und Violin-Double von der Deformation verschont.

Die Welt, Lutz Lesle, 15.04.2011

FOTOS

Auf Anfrage gibt es auch das gesamte Video zu sehen.

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