Kanu-Wander-Theater: EFFI BRIEST

KANU-WANDER-THEATER 10.07.2015

Vom Ufer grüßt… Effi Briest

Kultursommer Lauenburg

„Vom Ufer grüßt… Effi Briest“. So wird das Kanu-Wander-Theater 2015 heißen, das auch zum 10. Jubiläum des Kultursommers wieder auf die Vielfalt von Schauspiel, Musik und Tanz setzen. Wir erzählen vom Ufer aus die Geschichte von Effi, die durch eine Hochzeit aus ihrer Kindheit gerissen wird und dennoch ihr Leben lang versucht, allen gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Aber immer wieder bricht das Naturkind in ihr heraus, wild und leidenschaftlich. Mit Hilfe von Euch möchten wir die dramatische Geschichte von Effi Briest aus ihrem Blickwinkel heraus erzählen. Effis Phantasien, Träume aber auch Ängste ermöglichen uns einen verspielten und surrealen Zugang. Es wird sowohl Szenen mit Effi und ihren Eltern, ihrem Mann Baron von Innstetten und ihrem Liebhaber Major von Crampas geben als auch Szenen mit dem spukenden Chinesen, der Phantasie von tanzenden Geistern auf der Diele und dem Traum vom Dasein einer orientalischen Prinzessin mitsamt dem feiernden Volk. Den Ort haben wir schon. Unsere bekannte Strecke wartet nur darauf, den Blick der Figuren übers Wasser schweifen zu lassen und damit ihren Träumen freien Lauf zu lassen. Der Weg vom Kanal über den Salemer See bis hin zum Pipersee erscheint plötzlich wie für die Geschichte von Effi gemacht: Vom seichten Gewässer des behütenden Elternhauses ins wilde Meer der leidenschaftlichen Gefühle und erbarmungslosen Konventionen der Erwachsenen. Man kann erbarmungslos versinken.

Regie: Kerstin Steeb

Ausstattung: Benjamin Burgunder

Mit: Lolaband, SambaZamba, SingSangSong, La Nouvelle Experience, Theater im Stall, Eulenspiegelaien, Luise Hansen, Tim Maas, Florentine Weihe, Uta Schwarznecker u.v.m.

KRITIK:

Farchau – Theodor Fontanes „Effi Briest“ als Kanu-Wander-Theater zu inszenieren, war ein gewagtes Spiel. Produzent Frank Düwel und Regisseurin Kerstin Steeb haben es mit Bravour und dem beeindruckendem Spiel aller Beteiligten gewonnen. 13 Stationen hatte die Hamburger Musiktheaterregisseurin aufgebaut, um in dreieinhalb Stunden Paddelzeit mit kurzer Pause Effis Geschichte in Lebens- und Traumszenen zu erzählen.  Die Besucher schwärmten sich von diesem Open-Air-Theater entlang des Schaalseekanals, Salemer und Pipersees genauso wie die Mitwirkenden.

Mit einem ausgeprägten Gespür für die Spieler, eine markante Erzähllinie und Fontanes Text führte Steeb das paddelnde Publikum durch ein kurzes dramatisches Frauenleben im ausgehenden 19. Jahrhundert. Man musste „Effi Briest“ nicht gelesen haben, um zu verstehen, worum es ging. Die Natur selbst war Bühnenbild, sie verstärkte die Atmosphäre und Symbolik der Geschichte: Mit Macht fuhr der Wind über Idylle und Drama, sicheres Ufer und offenes Wasser, brachte die Paddler gelegentlich genauso vom Kurs ab wie das Schicksal die junge Effi.

Die Darstellung in Stationen spiegelt im Fall von „Effi Briest“ mehr wider als das 1896 erschienen Fontane-Buch es kann: Der erste deutsche Gesellschaftsroman war in den zwei Jahren vor der Buchausgabe als Fortsetzungsgeschichte in der Deutschen Rundschau erschienen – also auch schrittweise. Stets nah am Ursprung verfolgten die Zuschauer das Schicksal der jungen Effi, die auf Zureden der Mutter mit 17 Jahren den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten heiratet – einen Karrieristen im Dunstkreis Wilhelms II. und Bismarcks, dem bürgerlichen Moralkodex streng verhaftet. Tochter Annie wird geboren, doch Effi vereinsamt in ihrer Ehe. So lässt sie sich auf  eine flüchtige, aber leidenschaftliche Liebschaft mit Major Crampas ein. Jahre später entdeckt von Innstetten dessen Liebesbriefe, fordert Crampas zu Duell und tötet ihn. Effi wird verstoßen – auch von ihren Eltern -, muss ihre Tochter zurücklassen und wird gesellschaftlich geächtet. Erst als Effi schwer krank ist, nehmen die Eltern sie wieder auf. Sie erholt sich nicht, der Tod erlöst sie, gerade 29 Jahre alt.

Eine fröhliche Kindheit, Alpträume in der Ehe und Träume in der Leidenschaft, Sehnsüchte, Enttäuschungen und ein bitteres Ende erlebten die Zuschauer der fünf Touren mit der Protagonistin. Mochten einige das Geschehen auch als ungewohnt ernst empfinden – das Einpflegen literarischer Stoffe in das Kanu-Wander-Theater zeigt Anspruch und hat Zukunft. Zumal, wenn es mit so hoher Qualität und in so gelungener Verbindung aus Theater, Gesang, Musik und Tanz erscheint wir hier. Nicht ohne Grund ist diese Veranstaltung stets als erste im KulturSommer am Kanal ausgebucht. Zunehmend kommen Besucher von außerhalb der Region – aus Hamburg, Lübeck und Stormarn, sogar aus Hannover und Detmold waren diesmal welche da.

Alle Akteure ließen sich von Regisseurin Kerstin Steeb ihr Bestes entlocken, die Rollenverteilung und Zusammenstellung der Gruppen war vortrefflich. Hier ein Durchlauf in Kürze:

Station 1 / Schuldversenkung I: Die Kids vom Theater im Stall (Neu-Horst) am roten Vorhang zeigten erfrischenden und souveränen Einsatz – nicht viele Theater haben solchen Nachwuchs.

Station 2 / Tochter der Luft: Mutter und Tochter im Spiel und im Leben – ein toller Regieeinfall. Maren und Ann-Malin Lubenow wurden einer anspruchsvollen Erwartung voll gerecht.

Station 3 / Effi komm!: Uwe Datow und Gundula Thiele (Eulenspiegelaien, Mölln) überzeugten als Effis unerbittliche Eltern. Yara Feist als junge Effi spielte sofort sich in die Herzen der Zuschauer, das Sportprofil der Lauenburgischen Gelehrtenschule in Ratzeburg zeigte, was unbeschwerte Jugend heißt.

Station 4 / Hochzeitsfanare: SambaZamba vom Möllner Gymnasium (Leitung benjamin Lütke) ließ die Melodie gar nicht vermissen. La Nouvelle Expérience Hamburg (Leitung Anna Katharina Kriete) bestach mit geschmeidigem Ausdruckstanz.

Station 5 / Für dich bin ich …: Sarah Manzke und Jürgen Utecht (Theater im Stall) arbeiteten im Dialog mit dem Publikum den Gegensatz zwischen Innstetten und Effi toll heraus – das ging ans Herz.

Station 6 / Orientalische Prinzessin: In eine andere, wundervolle Welt entführte die stets mitreißende LoLa-Band (Leitung Ulrich Kodjo Wendt), dazu ein sehr gekonnter Auftritt der Müssener Bauchtänzerinnen (Leitung Christian Herrmann). Merle Engling und Christina Meier (Theater im Stall) als Effi im Doppel – schöne Idee, fein umgesetzt.

Station 7 / Schloon: Bariton Tim Maas und Sopranistin Luise Hansen boten ein tadelloses Duett mit „La ci darem la mano“ aus Mozarts Don Giovanni – ja, auch der passte da hinein.

Station 8 / Heimliche Spaziergänge: Paradiesisch ist die Liebe. Pia Hansen und Johannes Rösler (Theater Lauenburg) zeigten sie mit voller Überzeugung – sie sind auch im echten Leben ein Paar.

Station 9 / Schlaf, mein Kind: Schicksalhafte Frauengestalt – wer hätte so Viel in einer Szene besser verdichten, spielen (und singen) können als Angela Bertram (Theater im Stall)?

Station 10 / Seegespenster: Fantastisch-starke Gestalten, Kostüme und Stimmen: Amit Klein und Otti Wiedenroth-Rösler (Theater Lauenburg) mit Hagen Winkler (Theater im Stall). Jens Rothe und Leif Best (DLRG Ratzeburg) tauchten leider nur teilweise auf, ließen kräftigen Atem und schwungvollem Flossenschlag erkennen.

Station 11 / Briefe: Von SingSangSong (VHS-Chor Schwarzenbek, Leitung Regine Olk) mehrstimmig getragen und befeuert von jungen Akrobatinnen (Möllner Sportvereinigung), überzeugte Karen Lüdke (Eulenspiegelaien) als reife Kinderfrau Roswitha.

Station 12 / Zurück in Hohen-Cremmen: Florentine Weihe und Ute Schwarznecker – ein tolles Gespann, Dialog auf den Punkt mit dramatischem Ende. Klasse ausgespielt.

Station 13 / Schuldversenkung II: Eckhardt Neitzel (Theater im Stall) setzte als Effis Vater den unvergesslichen Höhe- und Schlusspunkt. Ein Monolog, der Gänsehaut machte.

Man hat den zeitlosen Kern des Dramas mitgenommen aus diesem Theater. Rainer Werner Fassbinder, der den Stoff 1974 verfilmte, formulierte ihn in seinem vollständigen Filmtitel: „Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen“.

FOTOS von Volker Lüdke

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